Interdisziplinäre Workshops
Bericht über den 12. Interdisziplinären Workshop am 27.03.2025
Im ersten Teil wurden eingehend strafrechtliche Fragen diskutiert. Der Fall eines Arztes in psychiatrischer Weiterbildung, der seine Patientin mehr als 50mal missbrauchte und sie nachweislich geschwängert und anschließend zur Abtreibung in seiner Anwesenheit genötigt hat, führte erstinstanzlich zu einer Verurteilung nach §174c Abs.1 StGB von 2,5J, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Verurteilung nach §174c Abs. 1 StGB erfolgte aufgrund der Tatsache, dass der Beschuldigte Arzt ist. Eingewandt werden kann jedoch, dass eine Verurteilung nach §174c Abs.2 StGB erfolgen sollte, wegen des Behandlungsinhaltes und des durch den Wissenschaftlichen Beirat definierten Verfahrens. Sowohl der Beschuldigte (aufgrund des Strafmaßes) als auch die Nebenklage (wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und einer Verurteilung nach §174c Abs.2 StGB) sind in die Berufung gegangen. Zum Berufungstermin legte der Beschuldigte ein Attest vor, das ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Dies wird vom Gericht gutachterlich überprüft. Aufgrund der aktiven Reaktion des Gerichts besteht Übereinstimmung, dass diese Verteidigungsstrategie des Beschuldigten kaum zum Erfolg führen wird.
Weiter wird über eine undifferenzierte Berichterstattung in der örtlichen Presse berichtet, die kein Verständnis für die betroffene Patientin und der komplexen Situation erkennen lässt und nur einseitig die Perspektive der Klinik darstellt.
Die Diskussion der strafrechtlichen Verfolgung des fallführenden Oberarztes aufgrund mangelnder Aufsicht in der Supervision kann regelmäßig nicht erfolgreich sein, aufgrund des fehlenden Vorsatzes zur Tat. Da § 174c StGB nur denjenigen bestraft, der selbst in den Sexualkontakt involviert war oder die Patientin zu sexuellen Handlungen mit Dritten bestimmt hat, scheidet Täterschaft aus. Beihilfe durch Unterlassen der Aufsicht könnte grundsätzlich in Betracht gezogen werden, scheitert aber daran, dass nach § 27 StGB nur eine vorsätzliche Unterstützung der Haupttat strafbar ist. Daran wird es regelmäßig fehlen. Erst nach Abschluss des Strafverfahrens kann die zuständige Kammer den berufsrechtlichen Überhang prüfen.
In einem weiteren Fall war eine jugendliche Patientin im Rahmen einer stationären und anschließend ambulanten Behandlung aufgrund einer massiven und fortgesetzten Abstinenzverletzung in eine massive Abhängigkeit zu ihrer Therapeutin und eine Suizidalität mit wiederholten Suizidversuchen geraten. Es werden verschiedene rechtliche Schritte erwogen. Die einstweilige Anordnung eines Kontaktverbots wegen des Eingriffs in das Sorgerecht der Eltern wurde von der Richterin nicht als eilbedürftig angesehen, weil die Patientin sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Klinik befand, in der eine Kontaktaufnahme mit der Therapeutin möglich war. Auch im Gewaltschutzgesetz sah die Richterin keine taugliche Grundlage für ein Kontaktverbot.
Auch der Versuch, ein Kontaktverbot zu erwirken, war erfolglos, da die Patientin derzeit aufgrund ihrer Suizidalität stationär betreut wird. Empfohlen werden sowohl ein zivilrechtliches Verfahren, das aus dem Behandlungsvertrag herzuleiten ist, und eine Beschwerde/berufsgerichtliches Verfahren bei der Kammer. Hierzu muss jedoch zunächst die Strafanzeige, die die Eltern in der ersten Not gestellt hatten, zurückgezogen werden. Weiter wird diskutiert, ob die Klage auf Unterlassung aufgrund des der Patientin entstandenen Schadens möglich ist.
Im zweiten Teil werden sowohl die Beschwerdeverfahren der Kammern als die Schiedsverfahren in den Berufsverbänden diskutiert. Die Möglichkeiten der Kammern als Körperschaften des Öffentlichen Rechts in den Beschwerdeverfahren sind in den jeweiligen Landesheilberufegesetzen geregelt. Es handelt sich um interne Verfahren. In den zurückliegenden 10J konnte von den Kammern über den gesetzlichen Rahmen hinaus erwirkt werden, dass sie den Beschwerdeführern den Anschluss des Verfahrens Auskunft über die Beendigung des Verfahrens und die Tatsache einer Sanktion geben dürfen. Bedauerlicherweise sind die Verfahren jedoch bundesweit nicht einheitlich. Betroffene Patienten erleben sie oftmals als nicht lohnenswert und leiden unter der mangelnden Transparenz und den geringen Sanktionsmöglichkeit. Auch aus Sicht der Kammern gestalten sich die berufsgerichtlichen Verfahren aus verschiedenen Gründen unbefriedigend, so laufen wiederholt Verfahren in die Verjährung oder die Kammern werden in Vergleiche gezwungen, die eigentlich unannehmbar sind. Mehrheitlich wird sowohl ein abgestimmtes und einheitliches Vorgehen aller Kammern (Ärzte-K und PTK) gewünscht. In mehreren Kammern wird inzwischen eine anonyme Beratung für Patienten ebenso wie im Ethikverein angeboten, in der auch über die Schritte des Verfahrens informiert wird, um überhöhte Erwartungen zu relativieren.
Die Beratung des Ethikvereins hilft auch Patienten, die nicht erkennen können, welche Kammer zuständig ist und dann, wenn sie bevorzugen, sich unabhängig beraten zu lassen.
Schiedsverfahren in Berufsverbänden vereinen sowohl psychotherapeutische als auch rechtliche Kompetenz und werden von betroffenen Patienten als leichter und heilsamer erlebt. Schiedsverfahren sind zivilrechtliche Verfahren, die ggfls auch vor Zivilgerichten angefochten werden können. Die konkrete Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht und die notwendige Auseinandersetzung auf einer professionellen Ebene des Beschuldigten mit seinen Fachkollegen stellen für die geschädigten Patienten Recht und Ordnung und die Norm der Berufsordnung wieder her. Auch hier zeigt sich regelhaft die Uneinsichtigkeit des Beschuldigten, fehlende Reue, Schuldeinsicht, mangelnde Reflexion ihres schädigenden Verhaltens. Wichtig gerade in Anbetracht der der Uneinsichtigkeit der Beschuldigten ist, dass die Satzung des jeweiligen Verbandes einen Austritt nur mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten beispielsweise zum Jahresende vorsieht, damit sich der Beschuldigte dem Verfahren nicht entziehen kann. (as)
Bericht über den 11. Interdisziplinären Workshop am 25.10.2024
Ein Austausch zur Thematik von Aufnahmen neuer Mitglieder aus anderen Verbänden oder Instituten (Instituts-/Verbandswechsel) und von Wechselanträgen von Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen führt zu der Empfehlung, grundsätzlich bei Bewerber*innen nachzufragen, ob Ethikverfahren gegen sie vorliegen. Es sollte in Satzungen entsprechend verankert werden, dass die Nichtangabe von Ethikverfahren einen Ausschlussgrund darstellen und eine Antragsteller*in mit der Mitgliedschaft grundsätzlich das datenschutzrechtlich, abstrakte Einverständnis zur Weitergabe von Schiedssprüchen erteilt. Ein Verein ist grundsätzlich frei, seine Voraussetzungen für die Aufnahme von Mitgliedern selbst zu definieren. Unterhalb der juristischen Ebene ist es auch möglich, dass ein Vorstand entscheidet, dass das Vertrauensverhältnis für eine Zusammenarbeit (als Dozent*in, Lehranalytiker*in, etc.) nicht mehr gegeben ist und eine entsprechende Beauftragung/ Ernennung zurückgenommen wird. Erinnert wurde in diesem Zusammenhang daran, dass eine fernmündliche Information der Approbationsbehörden zu Ermittlungen seitens der Approbationsbehörden (Anforderung von Akten zu Schiedssprüchen) führen wird.
In einem strafrechtlichen Verfahren gemäß § 174 c Abs. 2 StGB wurden alle Instanzenwege mit negativem Ausgang beschritten (Einstellungsbeschwerde, Klageerzwingungsverfahren) und im Anschluss daran Verfassungsbeschwerde eingelegt. Nun hat das Verfassungsgericht der Beschwerde stattgegeben (nur 1,6% der Beschwerden sind erfolgreich!). In der Begründung wird einerseits betont, dass allein das faktische Behandlungsverhältnis (nicht das formale) entscheidend ist und der Klägerin das Recht auf rechtliches Gehör und effektive Strafverfolgung nicht gewährt worden ist.
In einem weiteren Strafverfahren wegen schwerem sexuellem Missbrauch gemäß § 174 c Abs. 2 StGB wurde der Täter zu 2,5 Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund mangelnder Einsicht ist er jedoch in Berufung gegangen. Die Nebenklage hat ebenfalls Berufung beantragt wegen des Strafmaßes. Nach der Verhandlung wurde dem Arzt fristlos gekündigt, jedoch die für eine fristlose Kündigung zu beachtende 2 Wochenfrist versäumt, so dass der Arzt eine Arbeitsschutzklage einreichte. In der arbeitsgerichtlichen Verhandlung hat der Anwalt des Arztes in seinen Ausführungen eine massive Schuldumkehr zulasten der Betroffenen gezeigt.
Die Vertreter*innen der Kammern berichteten, dass die LÄK in RLP, Nordrhein und Hessen Ombudsstellen eingerichtet haben, ebenso haben die PTK RLP, Bayern und Berlin Patient*innenberatungsstellen/Hotlines eingerichtet. In diesen Ombudsstellen sind auch Beschwerden von nicht natürlichen Personen (Institutionen) möglich. Zustimmend aufgenommen wurde die Anregung, Ordnungsgelder aus Rügeverfahren zugunsten des Ethikvereins festzusetzen. Eine Initiative das Abstinenzgebot auch in die BO-Ä (Ba-Wü) aufzunehmen war leider nicht erfolgreich. Eine Homogenisierung der Kammerverfahren gestaltet sich schwierig aufgrund der unterschiedlichen Heilberufegesetze der Länder. Gesetzesänderungen erfordern überdies eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Kammern. In RLP wurde das Gesetz zuletzt so geändert, dass Patient*innen über das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens, nicht jedoch das Strafmaß, informiert werden.
Anlässlich der Beschwerde über die Kündigung eines (mündlichen) Ausbildungsvertrags erfolgen folgende Klarstellungen: Es erscheint unseriös, keinen schriftlichen Vertrag abzuschließen, das damit verbundene Risiko liegt jedoch beim Institut, das Berufsbildungsgesetz ist hier jedoch nicht einschlägig, ohne Abmahnung liegt die Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung jedoch nicht vor.
Im Fall einer Strafanzeige gemäß § 174 c Abs.2 StGB durch alle Instanzen (Einstellungsbeschwerde, Klageerzwingung, 1. Instanz, Berufungsverfahren, Revision am OLG und 2. Verhandlung am LG) stimmte die Nebenklägerin der Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage für den Täter zu unter der Zusage der Richterin, dass die Anwalts- und Verfahrenskosten durch die Staatskasse getragen werden. Die Kostenstelle teilte nun mit, dass die Kosten nicht vom Staat, sondern vom Beschuldigten oder der Nebenklägerin zu tragen seien. Hier handelt es dem Anschein nach um eine fehlerhafte Beratung durch den Anwalt zur Kostenfestsetzung und eine falsche Information durch die Richterin. Dabei ist die Anwaltshaftung vor der Amtshaftung zu verfolgen. Aus Sorge um die psychische Stabilität der Nebenkägerin wird der Ethikverein beauftragt, ihr zu schreiben, Betroffenheit auszudrücken und die Bereitschaft zur Sammlung von Spenden sowie das Angebot einer anwaltlichen Vertretung anzubieten, falls der Anwalt seine Forderungen gerichtlich versuchen sollte durchzusetzen. (as)
Bericht über den 10. Interdisziplinären Workshop am 26.04.2024
In einem Referat (Solms/Gutmann) wurde die Haftung für psychische Schädigungen in der Behandlung näher beleuchtet. Es handelt sich hierbei um eine stark vernachlässigte Materie. Der Bundesgerichtshof betont zwar die Gleichbehandlung von physischen und psychischen Schäden vorgesehen, faktisch bestehe jedoch eine große Ungleichbehandlung. Voraussetzung der Anerkennung einer psychischen Schädigung ist immer, dass eine „psychische Störung mit Krankheitswert“ nach ICD 10/11 vorliegt. Dass es psychische Störungen ohne orga-nische Ursache gibt, wird von der Rechtsprechung mittlerweile vorbehaltlos angenommen. Vorschädigungen und Prädispositionen könnten einen Schädiger grundsätzlich nicht entlasten. Der BGH weise indes bei psychischen Beeinträchtigungen stets darauf hin, dass psychische Schäden einer besonderen Prüfung des Zurechnungszusammenhanges bedürfen, um eine „uferlose“ Haftung auszuschließen. Eine erste Zurechnungsschranke zielt darauf, eine Haftung für psychische Schäden aufgrund von „Bagatellschädigungen“ zu vermeiden. Wichti-ger sei eine weiterte Zurechnungsschranke bei einem Behandlungsfehler, bei dem eine Schädigung auf einen Schadensanlage treffe: In der Justiz bestehe seit Jahrzehnten eine Angst, Rentenbegehren („Begehrensneurosen“) nachzugeben (die bestehen sollen, „wenn der Geschädigte das schadensauslösende Ereignis in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen“, so der BGH) oder auf Simulanten hereinzufallen, was aus Sicht der Teilnehmer*innen wahrscheinlich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden ist. Das deutsche Zivilrecht sei fixiert darauf, dass „die Feststellung, Quantifizierung und Bewertung psychischer Beeinträchtigungen […] mit besonders großen Unsicherheiten behaftet [ist], weil das seelische Leiden unsichtbar ist und nicht mit physischen Tests verifiziert werden kann“ und die „Gefahr eines Missbrauchs durch ‚betrügerische Schadensersatzklagen‘ deshalb nicht von der Hand zu weisen“ sei (so ein aktueller juristischer Kommentar).
Weitere Probleme bestehen hinsichtlich des immateriellen Schadensersatzes, des sog. Schmerzensgeldes (§ 253 BGB). Die Vorstellung: „Deutsche kennen keinen Schmerz“ (‚Karl May Syndrom‘) und das Kant´sche Diktum, dass „Personen einen Wert, aber keinen Preis haben“ und Persönlichkeitsrechtsverletzungen eigentlich nicht durch Geld kompensiert werden können, haben dazu geführt, dass für seelische Schädigungen bislang kein Maßstab entwickelt worden ist. Es liege bisher kaum Rechtsprechung vor, auf die in weiteren Verfahren Bezug genommen werden könne. Es handele sich insoweit um von der Rechtsprechung zu betretendes Neuland. Die Schmerzensgelder, die in Deutschland wegen einer Verletzung der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung zugesprochen werden, gelten im in-ternationalen Vergleich insgesamt als niedrig.
Die Geltendmachung eines Schmerzensgelds bei sexuellen Grenzverletzungen werde dadurch erleichtert, dass § 253 Abs. 2 BGB seit dem Jahr 2002 ausdrücklich bestimme, dass ein solches auch „wegen einer Verletzung […] der sexuellen Selbstbestimmung“ gefordert werden kann. Seitens der Richter und Staatsanwälte führe der Begriff der sexuellen Selbstbestimmung jedoch teils zu falschen Privattheorien und einem weit verbreiteten Fehlverständnis. Die juristischen Datenbanken enthielten keine Einträge zu zivilgerichtlichen Entscheidungen, die wegen eines sexuellen Missbrauchs in der psychotherapeutischen Behandlung (§ 174c Abs. 2 StGB) ein Schmerzensgeld zugesprochen haben. Gegenwärtig werde nur bei besonders schwerwiegenden Verbrechen ein hohes Schmerzensgeld zuerkannt. Im kirchlichen Kontext habe das OLG Köln z.B. für den 320fachen sex. Missbrauch eines Kindes durch einen Geistlichen dem Geschädigten ein Schmerzensgeld von Höhe von 300.000.-€ zugesprochen. Im Übrigen würden üblicherweise jedoch viel geringere Beträge von 5.000-15.000.-€ beschieden. Lediglich 2 Urteile führten zu einem Schmerzensgeld von je 15.000.-€. nach physischer Gewalt und sexuellem Missbrauch. Herr Gutmann verweist auf die alternative Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vergleichs, was jedoch zumeist an der fehlenden Zustimmung der Beschuldigten scheitere. Es bedürfe qualifizierter, präziser gutachterlicher Ausführungen über krankheitswertige Störungen mit ICD 10/11-Diagnosen und die Aussage des Gutachters, dass kein Hinweis auf „Flucht in die Opferrolle oder Rentenneurose“ bestehe. Anhand solcher Gutachten sei es möglich, materielle Schäden einzuklagen, bei immateriellen, psychischen Schädigungen sei es aufgrund des langjährig fixierten Umgangs mit psychischen Schädigungen auf absehbare Zeit weiterhin schwierig, obwohl der BGH 2023 geurteilt haben, dass psychische genauso zu behandeln sind wie physische.
Hinsichtlich der versicherungsrechtlichen Frage nach Haftung für sex. Missbrauch, wird fest-gehalten, dass bei vorsätzlichen Handlungen keine Leistungspflicht der Haftpflichtversicherung bestehe (§ 103 Versicherungsvertragsgesetz: „Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat“).
In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Begriff Rentenneurose auch ein Erbe der Nazizeit sei, die der Schuldabwehr diene. Weiter wurde darauf hinge-wiesen, dass auch Anwälte ihre eigenen Mandanten aufgrund der geschilderten Situation dazu drängen, sich niedrige Vergleichssummen einzulassen, da sie höhere Beträge vor Gericht nicht durchsetzen können. Aus psychotherapeutischer Sicht wird ausgeführt, dass die Schädigung eines vorgeschädigten Patienten zu größeren Schädigungen führt als Schädigung gesünderer Patienten, so dass der Missbrauch eines geschädigten Patienten eine besondere Schwere der Tat darstellt. Auch wird vorgetragen, dass die Dauer von Folgestörung wissen-schaftlich nachweislich weit über die von juristischer Seite angenommenen 5 Jahre hinausgeht (late onset PTBS, neuroendokrinologische Veränderungen, hirnstrukturelle Störungen, psychosomatische Störungen). Aus juristischer Sicht wird die Überlegung vorgestellt, Schadensersatz nicht aus deliktischer, sondern vertraglicher Haftung abzuleiten. Während in der Arzthaftung bei deliktrechtlichen Ansprüchen ein nahezu 100%-iger Nachweis für die Kausa-lität der schädigenden Handlung für den eingetretenen Schaden zu führen sei, sei bei vertraglicher Haftung (aus dem Behandlungsvertrag) hier eine freiere Beweiswürdigung (§ 287 ZPO) möglich. Erläutert wir auch, dass eine Beweislastumkehr (§ 630h BGB) nur in zivilrechtlichen Verfahren, nicht jedoch im Strafrecht greife. Hinsichtlich der Verjährung im StGB beginnt bei Schädigung von Kindern/Jugendlichen die Frist mit Vollendung des 30.LJ +5J. (sex. Miss. In PT) hat. Die zivilrechtliche Verjährungsfrist beginnt mit dem Gewahrwerden +30J.
Im Anschluss werden die verschiedenen Schwierigkeiten, die Straf-, Zivil- und berufsrechtli-chen Verfahren auftreten, dargestellt. Insbesondere wird Bezug genommen auf ein Strafverfahren, dass nach mehr als 6J nach erstinstanzlicher Verurteilung, zweitinstanzlich zum Freispruch führte und nach erfolgreicher Revision an das LG zurückverwiesen wurde und nach unqualifizierter Glaubhaftigkeits-Begutachtung der Patientin gegen eine Geldauflage von 5.000.-€ eingestellt wurde. Die Patientin ist psychisch erneut traumatisiert und völlig er-schöpft, sieht sich persönlich und finanziell nicht in der Lage, zivilrechtlich Ansprüche geltend zu machen und die Prozess-Beobachterschwanken zwischen Scham und Wut über die Justiz. Es wird die Frage erörtert, ob nicht im Strafverfahren ebenso wie im Zivilverfahren die Aus-sagen der Zeugin/Nebenklägerin vom Richter protokolliert müssten. Aktuell wird die kontro-vers in Rechtswesen diskutiert (Tonbandaufzeichnung, mindestens im LG und OLG, dagegen sprächen mögliche Befangenheitsanträge gegen den Richter, wenn er mit eigenen Worten die Zeugenaussage wiederholt). Zu den auftretenden Schwierigkeiten in den rechtlichen Verfahren wird eine Veröffentlichung geplant.
Bezüglich der Beschwerdeverfahren in den Kammern wird die Problematik der Vielzahl der Heilberufegesetze der Bundesländer aufgezeigt. Sie sind Körperschaften Öffentlichen Rechts, die ihre Aufgaben nicht an privatrechtliche Vereine delegieren können und bei Vorliegen einer Straftat gemäß dem Amtsermittlungsverfahren die Strafbehörden informieren müssen. In der PTK-RLP besteht eine anonyme Beratung. Die dort vorgetragenen Beschwerden, wei-chen jedoch erheblich von den offiziellen Beschwerden, die die Kammer erreichen ab, dort würden nur Kleinigkeiten gemeldet. Die Verfahren werden dort jedoch im Gegensatz zu anderen Kammern bei Umzug eines Beschuldigten fortgeführt.
Schweigepflichtentbindungen müssen spezifiziert erstellt werden, ansonsten sind sie unwirksam.
Ein verbandliches Schiedsverfahren wegen einer sexuellen Beziehung eines Analytikers zu einer Patientin, führte zum Ausschluss des Mitglieds. Gemäß der Ethikleitlinien des Verbandes ist zwar für das Schiedsverfahren Vertraulichkeit vereinbart, aber über die Tatsache und die offiziellen Gründe des Beschlusses besteht keine Schweigepflicht. Ebenso sind Be-schwerdeführer und Beschuldigter nicht an die Schweigepflicht gebunden, sondern lediglich die Schiedspersonen. Nach einem telefonischen Hinweis beispielsweise der Beschwerdeführerin an die Approbationsbehörde, kann die Approbationsbehörde die Akte anfordern. Dies sollte allerdings nur bei schwerwiegenden Grenzverletzungen und/oder Uneinsichtigkeit geschehen, damit die Bereitschaft zu einem Schiedsverfahren auf Seiten der Beschuldigten nicht schwindet. In den Ethikleitlinien sollte daher die Pflicht zur Mitwirkung an Schiedsverfahren verankert werden.
Im stationären Setting wurde eine private Beziehung zwischen der Bezugstherapeutin und einer Patientin begonnen und über mehr als 2J fortgeführt. Die Handlungsoptionen werden diskutiert: Meldung an die Kostenträger, Meldung an den Träger der Klinik, die zivilrechtliche Haftung ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag, Behandlungsakte anfordern, ggfls Beweis-lastumkehr, weil es sich in diesem Fall nicht um eine qualifizierte Therapeutin handelt, Nichterfüllung der Aufsichtspflicht (Verstoß gegen die BO) an die Kammer der Chefärztin melden, deliktrechtliche Haftung gegen die Therapeutin selbst, Frage nach Abrechnung, bei fehlender Qualifikation darf gar nicht abgerechnet werden. (AS)
Bericht über den 9. Interdisziplinären Workshop am 20.10.2023 (online)
Im Rahmen des Workshops wurden 3 Themenbereiche eingehend diskutiert: die Problematik der Non-Reporting Regel im Rahmen der Selbsterfahrung von Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, die Frage der Schweigepflicht in der Supervision und die Beschwerdeverfahren in den Kammern.
Weiterhin wurde über den aktuellen Stand der laufenden strafrechtlichen Verfahren berichtet. Für die betroffenen Patient*innen erweist sich deren Verlauf in der Regel als sehr belastend und zermürbend. Erschwerend hinzu kommen unqualifizierte Begutachtungen, die teils von großer Feindseligkeit gegenüber den betroffenen Patient*innen geprägt sind. Eine Ablehnung einer ersten Begutachtung kann jedoch zu einer weiteren für die Patient*innen belastenden Verzögerung des Verfahrens führen. Es wurde angeregt, Standards für die Exploration im Rahmen der Begutachtung zu erarbeiten oder auch Gespräche mit den Gutachter*innen zu führen. Ergänzend zu § 174 c StGB wurde auf § 184 i StGB „Sexuelle Belästigung“ verwiesen. Es handelt sich um ein Antragsdelikt, bei dem die Anzeige innerhalb von 3 Monaten erfolgen muss. Die Verjährungsfrist beträgt 3 Jahre. Erneut wurde betont, dass die Vorgeschichte der sexuellen Beziehung zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in für den Tatbestand des § 174 c StGB irrelevant ist. Diskutiert wird auch, ob die Tat mit dem Ende der therapeutischen und/oder sexuellen Beziehung eintritt, – was dem psychotherapeutischen Verständnis der Abstinenz, dem strukturellen Machtgefälle und der Abhängigkeit in der Behandlung entspricht – oder mit Ende des Vollzugs der geschlechtlichen Handlung(en). Strafrechtlich wird sexueller Missbrauch in Psychotherapie und Beratung jedoch nicht als Dauerdelikt betrachtet.
Hinsichtlich des Non-Reporting im Rahmen der Selbsterfahrung wird allgemein darauf hingewiesen, dass Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen (AWTs) über Verletzung der Schweigepflicht klagen und sich durch die daraus resultierende Befangenheit beeinträchtigt fühlen. In den Beratungen des Ethikvereins stellen diese Items die zentralen Beschwerden der AWTs dar. Als ermöglichende Ursachen bestehen Doppelrollen und geschlossene Räume in Instituten. Es bleibt offen, ob sich im Rahmen der neuen Weiterbildung Verbesserungen zu erwarten sind oder es lediglich zu einer Verschiebung von multiplen Abhängigkeitsbeziehungen kommen wird. Die in Ausbildungsverträgen geforderte Entbindung von der Schweigepflicht wird jedoch als pauschal, nicht freiwillig und nicht näher spezifizierte Schweigepflichtentbindung im vorhinein als unwirksam angesehen. Es erscheint jedoch rechtlich schwierig, dagegen vorzugehen. Die Schweigepflicht im Rahmen der Supervision wird jedoch aufgrund der Notwendigkeit, die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten, als problematisch bewertet.
In 95% der von den Kammern angezeigten Taten zu § 174 c stellen die Staatsanwaltschaften die Ermittlungen ein aufgrund von §153 StPO. Geringere Berufspflichtverletzungen werden bei den Landespsychotherapeutenkammern schriftlich verhandelt. Nach den staatsanwaltlichen Vorgängen kommt es bei gravierenden Abstinenzverletzungen zu berufsgerichtlichen Verfahren, die den berufsrechtlichen Überhang prüfen. Dabei wird nach dem Amtsermittlungsgrundsatz vorgegangen. Ein möglicher Entzug der Approbation durch die Approbationsbehörden wird in nahezu 100% von den Beschuldigten angefochten. Aktuell ist ein Approbationsentzug nur bei Strafen über einem Jahr, die nicht zur Bewährung ausgesetzt sind, möglich. In den vergangenen acht Jahren ist dies einmal geschehen. In den USA dagegen werden 1-2% der Psychotherapeut*innen pro Jahr aufgrund von sexuellem Missbrauch die Approbation entzogen. Es hat sich gezeigt, dass in Deutschland in den Approbationsbehörden kein ausreichendes Personal zur Bearbeitung der entsprechenden Anträge vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund wird positiv diskutiert, die Kriterien für Berufsunwürdigkeit von Psychotherapeut*innen in der Profession zu diskutieren. Aus Sicht der anwesenden Psychotherapeut*innen ist die Berufsunwürdigkeit spätestens bei wiederholtem sexuellem Missbrauch gegeben. In vielen Bundesländern ist eine Information der Beschwerdeführer*innen über den Ausgang der Beschwerdeverfahren in den Kammern gesetzlich nicht vorgesehen mit Ausnahme derzeit der PTK Rheinland-Pfalz (§ 51 Heilberufsgesetz (HeilBG), Rheinland-Pfalz**). In einigen Kammern sind mündliche Anhörungen möglich, in anderen dagegen nicht. Manche Beschwerdeführer*innen lehnen jedoch auch eine Aussage gegenüber der Kammer ab. In der PTK Niedersachsen und in der LÄK Hessen bestehen niederschwellige Beratungsmöglichkeiten für Patient*innen. Parallel zu den Verfahren in der Kammer können auch Schiedsverfahren in Berufsverbänden durchgeführt werden, mit dem Ziel, die betreffenden Kolleg*innen aus dem Verband auszuschließen.
** Vom 19. Dezember 2014, Ahndung einer Pflichtverletzung
51 (4) Personen, die die Verletzung einer Berufspflicht geltend machen, werden durch die Kammern über das Ergebnis der berufsrechtlichen Überprüfung unterrichtet. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Informationszugang besteht nicht.
8. Interdisziplinärer Workshop zu sexuellem Missbrauch in der Psychotherapie § 174c StGB 28. April 2023 (online)
Die Frage von Abstinenzverletzungen im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung wurde am Fall einer ökonomischen Grenzverletzung diskutiert Zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in war es zu einem hochriskanten Spekulationsgeschäft über einen 6-stelligen Betrag gekommen, dessen Risiken zu Lasten der Patient*in abgesichert wurden. Im Rahmen der Vergleichsverhandlung wurde eine mehrjährige Heilungsverzögerung durch die grob fehlerhafte Behandlung mit 2.000.-€/Jahr gegengerechnet.
Diskutiert wurden neben den Qualitätskriterien für Gutachter auch die bislang fehlende finanzielle Einordnung von psychischen Schäden. Anhaltspunkte könnten sich allein durch das Schmerzensgeld für Angehörige ergeben. Hierzu wurde eine Arbeitsgruppe für eine weitere gemeinsame, interdisziplinäre Veröffentlichung vereinbart. Der Straftatbestand der Körperverletzung ist rein somatisch bestimmt, psychische Wunden sind nicht umfasst. Psychische Gewalt ist im juristischen Kontext nicht hinreichend bestimmt. (Bei Interesse melden Sie sich bitte in der Geschäftsstelle.)
Im Kontext eines Revisionsverfahrens zu § 174c StGB wurde von Prof. Renzikowski ausgeführt, dass die Revisionsbegründung bedauerlicherweise nicht ausführt, dass es für den Straftatbestand §174c StGB völlig unerheblich ist, ob die Initiative für sexuelle Handlungen von der Patient*in ausgeht.
In diesem Zusammenhang wurden die Begriffe Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit näher erläutert. Glaubhaftigkeit ist die Eigenschaft einer Aussage, während sich der Begriff glaubwürdig auf die Eigenschaft einer Person bezieht. Die Aussagetüchtigkeit einer Person bezeichnet die intellektuellen Fähigkeiten einer Person, die deren Aussage vor Gericht grundsätzlich brauchbar macht.
Hinsichtlich der Qualitätskriterien für aussagepsychologische Gutachten liegt ein BGH-Urteil vor (BGH 1 StR618/98, Urteil v. 30.7.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X)
Bei den PTKs bestehen Gutachterlisten:
Die darin genannten Gutachter*innen haben entsprechendes Fortbildungscurriculum absolviert und Qualifikationen erworben. In der Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer existiert eine Kommission in der Kammer, die die Qualität der Gutachten im Beschwerdefall prüfen kann und ggfls. Gutachter von der Liste entfernen kann. Diese begrüßenswerte Regelung soll jetzt in Niedersachsen übernommen werden.
Die Angeklagten dürfen zur Verteidigung dagegen lügen und wenn sie dies tun, darf Ihnen dies nicht zum Nachteil angerechnet werden.
Auch wird darauf verwiesen, dass das OEG (Opfer-Entschädigungsgesetz) neu geregelt wird.
Juristische Urteile können von Nicht-Juristen in der gemeinnützigen, kostenfreien Datenbank openJur.de nachgelesen werden oder auch im Lesesaal der Staatsbibliotheken in den Juris-Datenbanken.
Es wird weiter von der Justitiarin der PTK Rheinland-Pfalz berichtet, dass das Heilberufsgesetz in Rheinland-Pfalz (§§ 51 und 58) zum 1.1.2023 geändert worden ist. Darin heißt es jetzt, dass bei Verstößen gegen die sexuelle Abstinenz die Verjährung von 5 auf 10 Jahre erhöht wird (§58) und ein berufsgerichtliches Verfahren auch dann fortgeführt wird, wenn die Berufspflicht des Kammermitglieds außerhalb von Rheinland-Pfalz verübt wurde, wenn die Mitgliedschaft des Kammermitglieds endet oder der Beruf außerhalb des Landes ausgeübt wird. Außerdem ist bestimmt, dass die Kammer über das Ergebnis des Verfahrens denjenigen (Patienten) informiert, der die Berufspflichtverletzung geltend gemacht hat. Diese sehr erfreulichen Änderungen sind Modell für entsprechende Änderungen in anderen Bundesländern und nachzulesen unter: https://landesrecht.rlp.de/bsrp/document/jlr-HeilBer2014V20P51
In der Diskussion zu den unterschiedlichen Schwierigkeiten von betroffenen Patient*innen in strafrechtlichen Verfahren wurde neben problematischen Begutachtungen auch auf dysfunktional arbeitende Staatsanwaltschaften und Richter verwiesen. Von einer Rechtsbeugung kann allerdings nur dann gesprochen werden, wenn systematisch Gesetze durch einen Richter fehlangewendet werden.
In den Beratungen des Ethikvereins wird versucht zu klären, ob es sich nach den Aussagen der Patient*in um einen strafrechtlich relevanten Umstand handelt oder nicht. 28% der Beratungsfälle beinhalten sexuelle Grenzverletzungen, ca. in Drittel hiervon ist strafrechtlich relevant. Wenn dies der Fall ist, wird weiter versucht zu klären, ob ausreichend Beweismittel vorhanden sind, um den Tatvorwurf zu belegen. Zum dritten versuchen wir weiter, die psychische Stabilität, das Anliegen und die Motivation der Patient*in zu berücksichtigen. Es wird nur in den Fällen zu einem strafrechtlichen Vorgehen geraten, in dem möglichst alle Kriterien positiv beantwortet werden können. Die Berater*innen werden jedoch in einigen Fälle auch von betroffenen Patient*innen kontaktiert, nachdem diese schon von sich aus Strafanzeige erstattet haben.
Der rechtliche Umgang mit hochstreitigen Eltern (Sorgeberechtigten) in familien- und strafrechtlicher Hinsicht wurde von mehreren Beteiligten aufgeworfen und soll Gegenstand einer weiteren Onlinekonferenz sein.
Die Förderung von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist aktuell strafrechtlich nicht zu fassen. Hierzu würde es eines neu zu definierenden Tatbestands bedürfen. Für §183 StGB (Kuppelei) bedarf es eines Vorsatzes, der regemäßig nicht nachweisbar ist. Eine mögliche Anzeigepflicht würde auch behandelnde Psychotherapeuten in rechtlich sehr schwierige Situationen bringen, die möglicherweise zur Schädigung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen führen bedingt durch den Therapieabbruch, wenn strittige Eltern ihre Zustimmung zur Behandlung zurückziehen. In Frage kommt lediglich die Prüfung von Strafvereitelung. Auch eine Garantenpflicht kommt für bloße Zeugen nicht in Betracht, diese besteht bei vertraglicher vereinbarter Fürsorgepflicht/Verantwortung für den Betroffenen, wie beispielsweise beim Behandlungsvertrag.
Bericht zum 7. Interdisziplinären Workshop: Sexueller Missbrauch und andere rechtliche Probleme in der Psychotherapie am 28.Oktober 2022 (online)
Die Frage, in wie weit und unter welchen Bedingungen abgeschlossene innerverbandliche Schiedsverfahren mit Zustimmung und Schweigepflichtentbindung der betroffenen Patient*in an die Approbationsbehörden weitergeleitet werden können, wurde eingehend erörtert. Die komplexe Fragestellung berührt sowohl datenschutzrechtliche und medizinrechtliche Bestimmungen als auch die Persönlichkeitsrechte. Es wäre empfehlenswert, die Frage gutachterlich zu untersuchen. Pragmatisch sind 2 Optionen denkbar, entweder als Verband von Seiten der Leitung die Approbationsbehörden telefonisch zu informieren über den berufsrechtlich relevanten Schiedsspruch und den Schiedsspruch von Amtswegen durch die Approbationsbehörden anfordern zu lassen oder als Mitglied des Verbandes nach der beschlussfassenden Mitgliederversammlung die Approbationsbehörden zu kontaktieren und sie aufzufordern, in der Sache tätig zu werden.
Die Frage, ob die Schweigepflicht (§ 203 StGB) auch hinsichtlich des Schiedsverfahrens besteht ist richterlich nicht ausgeurteilt. In der DGPT ist die Schweigepflicht (Ethikleitlinien) zum Schiedsverfahren nach dem Beschluss der Mitgliederversammlung aufgehoben. In wie weit ein rechtfertigender Notstand in Bezug auf die (konkret) bestehende Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, wäre ebenfalls noch gerichtlich zu prüfen. Bei Untätigkeit der Approbationsbehörden (was in mehreren Berichten festzustellen war) wäre die Rechtsaufsicht der Approbationsbehörden einzuschalten, ebenso wie aus psychotherapeutischer Sicht sehr fragwürdig erscheint, dass ein abgeschlossenes Strafverfahren als Voraussetzung für ein Approbationsentzugsverfahren gefordert wird. Hier kann erneut eine Diffusion der Verantwortung beobachtet werden, was vor dem Hintergrund der Wiederholungstäter im Hinblick auf die Patientensicherheit und das hohe Schädigungspotential als äußersten problematisch bewertet werden muss. Aus ethischer Sicht sollte die Meldung an die Approbationsbehörden seitens des Verbands erfolgen, um der Patient*in mögliche Rechtsfolgen und damit weitere Schädigung zu vermeiden.
In einem anderen inzwischen über 6 Jahre andauernden rechtlichen Verfahren wurden erklärtermaßen psychotherapeutische Interventionen über ca. 40 Sitzungstermine von einem somatischen Facharzt angewendet und die Behandlungsbeziehung genutzt, um sexuellen Handlungen wiederholt an der Patient*in vorzunehmen. Nach Beschwerde über die Staatsanwaltschaft, die keine Ermittlungen aufnehmen wollte, und Klageerzwingungsverfahren wurde der beschuldigte Arzt erstinstanzlich verurteilt nach §174c, Abs.1, in der Berufsverhandlung, die sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch dem/r Beschuldigten – trotz unstrittigem Tatbestand – initiiert wurde, wurde das Urteil am Landgericht aufgehoben. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenkläger*in beantragten die Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft begründete ausführlich und detailliert. Die Revision war erfolgreich. Im Urteil wurde das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben, inclusive der Tatsachenfeststellung. Das OLG-Urteil führt aus, dass die Behandlungsbeziehung „nicht auf Augenhöhe“ gewesen sei. Aus psychotherapeutischer Sicht besteht in der Behandlung immer ein Abhängigkeitsverhältnis, auch wenn wie in diesem Fall die psychotherapeutischen Fachstandards nicht eingehalten wurden. Aus rechtlicher Sicht ist das faktische Behandlungsverhandlungsverhältnis entscheidend und der subjektive Eindruck der Patient*in. Darüber hinaus sollten durch die Gesetzgebung, nicht nur Psychotherapeuten im gesetzlichen Sinne von § 174c, Abs.2 erfasst werden, sondern auch der graue Markt und Scharlatane (Begründung zur Gesetzesvorlage). Der Begriff „auf Augenhöhe“ wird problematisiert, da diese in einigen Therapieverfahren proklamiert wird und so die Regelungen zur Abstinenz in den Berufsordnungen unterlaufen werden und die Anwendung dieses nicht allgemeinverbindlich definierten Begrifflichkeit damit gefährlich werden kann, weil sie das strukturelle Machtgefälle verleugnet. Die Belastung der Patent*in ist in Anbetracht der Gesamtdauer des rechtlichen Verfahrens erheblich, da sie den inneren psychischen Prozess während des Verfahrens kaum abschließen kann.
Ein weiterer Diskussionspunkt beleuchtet die Kommunikation zwischen verschiedenen Verbänden und Dachverbänden. Nachfolgende Änderungsanregungen wurden formuliert: Schiedskommissionen extern besetzen, um Befangenheiten berücksichtigen zu können; die Notwendigkeit, in jedem Institut, Verband eigene Ethikleitlinien inclusive Schiedsebene zu installieren, um Institutsmitglieder, die nicht Verbandsmitglieder ausschließen zu können; Informations-/Auskunftspflicht bei Doppelmitgliedschaften oder Neuaufnahmen der Verbände untereinander, auch transnational; Notwendigkeit der Information der Kammern über Ausschlüsse, um beispielsweise Richterbesetzung (ehrenamtliche Beisitzer*innen) prüfen zu können.
Abschließend wurde die Frage der gerichtlich angeordneten Begutachtungen sowohl im familienrechtlichen als auch strafrechtlichen Bereich diskutiert. Die Qualität der Gutachter erscheint fragwürdig in aktuell und in der Vergangenheit begleiteten Verfahren. Die PTKs arbeiten an Listen von bei den Kammern akkreditierten Gutachtern, die Fortbildungen nachweisen müssen. Bislang werden nur Beschwerden gegen solche Gutachter verfolgt, die auf dieser Liste stehen. Oftmals sind Gutachter jedoch nicht approbiert, so dass sie kammerrechtlich nicht zu belangen sind.
Der 6. Interdisziplinäre Workshop zum Thema sexueller Missbrauch in der Psychotherapie hat die Problematik berufsrechtlicher und ethischer Fragen in der Kinder und Jugendlichenpsychotherapie, verschiedene Aspekte von Beschwerdeverfahren in den Psychotherapeutenkammern und die Notwendigkeit weiterer (erfolgreicher) Strafverfahren aufgegriffen und eingehend diskutiert. Die o.g. geplante Veröffentlichung ist von der NStZ angenommen worden (PDF).
Am 10. Dezember 2021 fand der 5. Interdisziplinäre Workshop zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“ online statt. Die Diskussion weiterer anonymisierter Falldarstellungen verstärkte den Eindruck, dass die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben im Rahmen des Rechtsweges als dysfunktional anzusehen ist. Es wurde eine redaktionelle Arbeitsgruppe gebildet, die die geplante Veröffentlichung für die NStZ realisiert.
Der 4. Interdisziplinärer Workshop zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“ am 25. Juni 2021 hat drei Schwerpunkte aufgegriffen. Zum einen haben verschiedene Teilnehmer des Workshops beobachtet, dass bundesweit Staatsanwaltschaften und auch Generalstaatsanwaltschaften Verfahren wegen sexuellem Missbrauch in der in Psychotherapie und Beratung einstellen, sogar ohne Ermittlungen aufzunehmen. Hierzu wird eine gemeinsame Veröffentlichung der Beteiligten vereinbart. Weiter wurde das Feld pseudo-therapeutischer Angebote kritisch beleuchtet und festgestellt, dass Patientinnen und Patienten in diesem Rahmen gravierend geschädigt werden und im Vorfeld ihre Gefährdung nicht wahrnehmen können. Psychotherapeutische Standards müssen auch hier offensiver vertreten werden. Die Problematik von Kündigungen/Gestaltung von Arbeitszeugnissen nach sexuellem Missbrauch in der psychotherapeutischen Behandlung wird unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten erörtert.
Ein 3. Interdisziplinärer Workshop zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“ wurde am 29. Januar 2021 online durchgeführt. Die Thematik der individuellen und institutionellen Abwehrbemühungen wurde anhand der ausgewerteten Beratungsdaten und -verläufe dargestellt und breit und an verschiedenen Beispielen von Schwierigkeiten (Einstellung von Verfahren, Beschwerde gegen Einstellungsverfügung, Verfahrensrügen wegen Verfahrensverzögerungen, Klageerzwingungsverfahren, Disziplinarverfahren) in den aktuellen Strafverfahren diskutiert.
Der 2. Interdisziplinäre Workshop zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“ fand am 2. Oktober 2020 online statt. Der Erfahrungsaustausch sensibilisiert die Jurist*innen für die besondere Problematik in der Psychotherapie und die psychotherapeutischen Kolleg*innen für die rechtlichen Prüfschritte im Rahmen von straf- und berufsrechtlichen Schritten.
Am 31. Januar 2020 fand in Frankfurt ein interdisziplinärer Workshop zum Thema „Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie“ statt. Auf Einladung von Prof. Thomas Gutmann und dem Ethikverein e.V. trafen sich AutorInnen der einschlägigen strafrechtlichen Kommentierungen, Vorsitzende von Schiedskommissionen, RechtsanwältInnen, PsychotherapeutInnen und ÄrztInnen zu einem Erfahrungsaustausch über die aktuellen Entwicklungen seit Einführung des §174c im Jahr 1998 und der nachfolgenden BGH-Rechtsprechung 2009.